Persönlicher Nachtrag zur Auflösung…

…einer Aufstellungsversammlung der Partei „dieBasis“ am 07.04.2021 in Schöneberg

Diese Anmerkungen richten sich zum einen an die Einsatzleitung und die Beamten vor Ort . Diese werden im Folgenden allgemein als Staatsgewalt bezeichnet. Je nach Kontext bezieht sich Staatsgewalt auf einen Beamten, eine Gruppe von Beamten oder auf alle am Einsatz beteiligten Beamten. Zum anderen richten sich die Anmerkungen an die Teilnehmer der Aufstellungsversammlung. Diese werden im Folgenden, in Anlehnung an eine „Berliner Stimme Coronianer genannt. Coronianer wird hier nur in der männlichen Form verwendet. Die mit Coronianer bezeichneten Personen erschließt sich aus dem Kontext.

In der Reflexion des Ereignisses schält sich für mich Folgendes heraus. Die Anwesenden haben die Pflicht, zu der sie sich vor einer Woche bekannten, angenommen. Es ist jene Plicht, die wir Coronianer, aus unserer Einschätzung ableiten, dass durch diverse Verordnungen des Verordnungsgebers „Unrecht zu Recht“ wird.

Exkurs/Versuch zur Fundierung dieser Einschätzung:

Nach der Infektionsschutzmaßnahmenverordnung sind Gottesdienste, unter Einhaltung der Abstands- und Maskenregeln, auch ohne negative Tests erlaubt.

Nehmen wir, um des Arguments willen, Folgendes an: Durch die Predigt angeregt, beabsichtigen sieben Gläubige spontan einen Verein zu gründen. Dieser Verein soll die durch die Predigt erlangte Erkenntnis (zunächst dieser sieben) in der Welt verbreiten. Die Sieben fragen den Pfarrer, ob sie die Gründungsversammlung sofort und hier in dieser Kirche vornehmen dürfen. Sie würden ihre Plätze auch nicht verlassen und somit die Abstandsregeln weiter einhalten. Auch wollten sie eine FFP2-Maske tragen. Der Pfarrer, erfreut dass seine Worte auf so fruchtbaren Boden fallen, gestattet den Sieben die Gründungsversammlung abzuhalten, zumal eine weitere Nutzung des Gotteshauses an diesem Tag nicht gegeben ist.

Würde diese Gründungsversammlung von der Staatsgewalt bemerkt, dann müsste die Staatsgewalt lauf §10 der Infektionsschutzmaßnahmenverordnung den Sieben und dem Pfarrer jeweils ein Bußgeld zwischen 1000€ – 5000€ auferlegen (https://www.berlin.de/corona/massnahmen/verordnung/bussgeldkatalog/).

enn die Gründungsversammlung ist kein Gottesdienst und somit nicht von der Vorlage eines negativen Tests befreit. Dabei reicht es aus, wenn einer der sieben keinen negativen Test verweisen kann. Alle Beteiligten würden mit dem Bußgeld belastet werden. (siehe: Verstoß gegen §10 Abs. 3)

Durch den § 10 (s.o.) wird das Versammlungsrecht im Sinne von Artikel 8 des Grundgesetzes und Artikel 26 der Verfassung von Berlin eingeschränkt. Dass diese Einschränkung unverhältnismäßig ist, sollte an dem Exkurs deutlich geworden sein.

Karl Valentin hätte sicher seine Freude an dieser Faktenlage.

Zurück zum eigentlichen Ereignis:

Wir Coronianer können stolz darauf sein, an diesem Tag dem Verordnungsgeber eine Grenze aufgezeigt zu haben. Wird doch das „negative Testgebot ab sechs Teilnehmern“ ignoriert und damit einen konkreten Fall in die Welt gesetzt, an dem die Absurdität dieser Verordnung diskutiert werden kann und muss. Wir können auch stolz darauf sein, uns instinktiv richtig verhalten zu haben. So die Einschätzung eines Coronianers, mit Verweis auf seine Erfahrungen mit der Staatsgewalt am Bahnhof Köpenick. Wir hatten uns im Vorfeld nicht abgesprochen, wie wir bei einem Eingreifen der Staatsmacht agieren wollen. Es gab für uns als „Schwarm“ keine Handlungsanweisungen.

Zumindest ich als Veranstaltungsleiter bin vollkommen unbedarft nach draußen und vor die Staatsgewalt getreten. Ohne Widerspruch habe ich dem Wunsch der Staatgewalt nach Eintritt in den Veranstaltungsraum entsprochen. Die Anwesenden hatten ebenfalls ohne Widerspruch der Staatsgewalt ihre Ausweise ausgehändigt. Kein: „Wieso?“ „Muss ich nicht!“ „Will ich nicht!“ wurde laut. Einige Coronianer traten in Gespräche mit der Staatsgewalt ein, die nicht nur dem Austausch von Floskeln dienten. Wir erfuhren dadurch, mit welchen Argumenten die Staatsgewalt ihren Beamten gegenüber ihr Eingreifen rational zu begründen versucht. Wir erfuhren von einzelnen Beamten, an welcher Stelle für sie persönlich (bezogen auf die Corona-Maßnahmen) eine Grenze überschritten werden würde. Wir erfuhren ebenfalls, dass die Staatsgewalt (auch) nur Befehle ausführt und noch einiges mehr.

Durch unsere Anwesenheit und unsere Reaktionen haben wir der Staatsgewalt vor Augen geführt, dass sie mit ihrer Einschätzung über uns Coronianer vollkommen falsch liegt. Es hätte keiner 20 gut ausgebildeter, hochgerüsteter, mit Waffen und Schlagstöcken ausgestatteter Beamter bedurft, um unsere Personalien aufzunehmen. Wachtmeister Krause hätte ausgereicht. Und sein Hund Haduck hätte sich sicher auch gut mit Hündin Gloria verstanden. (Der Beamte, der die Tür aufhielt und bewachte, war so umsichtig zu verhindern, dass Gloria entfleucht. Hierfür unser Dank.)

Wechseln wir die Perspektive und betrachten die Situation mit den Augen der Staatsgewalt:

Ein graumelierter Herr tritt vor den Raum und gewährt ihnen nach einem kurzen, distanzierten aber nicht aggressiven Gespräch Einlass. Eingetreten sieht die Staatsgewalt eine Gruppe, deren Durchschnittsalter ca. eine „Generation“ über dem eigenen liegt. Die Staatsgewalt soll hier nicht jünger, die Coronianer nicht älter gemacht werden. Es geht nicht um eine empirische, sondern eher um eine phänomenologische Altersdifferenz. Die Staatsgewalt sieht beim Eintreten Personen, die ihre Mutter, ihre Tante, ihre Großmutter oder ihre Cousine sein könnten. Alle sitzen friedlich beisammen. Nichts lässt darauf schließen, dass diese „große Familie“ einen Staatstreich o.ä. plant, geschweige denn dazu in der Lage wäre, etwas Derartiges auszuführen. Die Staatgewalt muss sich fragen: Worin besteht die Sinnfälligkeit meines momentanen Handelns?

Auch dies haben wir Coronianer bewirkt!

Die Absurdität dieser Situation schien auch dem Beamten deutlich geworden zu sein, der mir sagte, wir mögen doch das nächste Mal eine derartige Veranstaltung anmelden. Es gab von ihm keinen Hinweis auf Test, Maske, Abstand oder ähnlichem. Darauf erwiderte ich, dass ich vom Ordnungsamt die Information erhalten habe, dass eine derartige Veranstaltung (pol. Partei) nicht angemeldet werden müsse. Der Beamte startete einen zweiten Versuch, von mir Absolution für sein Vorgehen zu erhalten. Er sagte sinngemäß: Wenn so viele Menschen zusammenkommen, sollte dies von der Staatsgewalt gewusst werden, damit Beamte bereitstehen könnten, um diese Veranstaltung zu schützen. Was doch sicher in unserem Interesse sei. Da ich dies Gespräch, zu diesem Zeitpunkt noch für einen Dialog hielt, bei dem es um das beste Argument geht, erwiderte ich: „Dann müsste doch auch jedes Gartenkoloniefest angemeldet werden.“ Der Beamte sinngemäß: Ein Gartenfest ist etwas Privates. Sie als Partei haben vielleicht Feinde und könnten angegriffen werden. Dagegen könnten wir sie dann gegebenenfalls schützen. Ich verkniff mir den Hinweis, dass auch Ass-Griller von Militanten-Veganer angegriffen werden könnten. Es hatte etwas gedauert, bis ich als Systemischer-Therapeut realisierte, dass ich keinen Auftrag von dem Beamten habe, ihm die Widersprüche seines Denkens aufzeigen. Ich ließ seine letzte Bemerkung unkommentiert und nickte sie ab. Ich verließ den Raum mit dem Hinweis, dass ich diesmal meiner Pflicht, eine Anwesenheitsliste zu führen, nicht nachkommen müsse, da dies die Staatsgewalt übernommen hätte. Die Beamten hatten alle Personalien aufgenommen. Im Einsatzbericht der Staatsgewalt ist ebenfalls der Zeitpunkt der Auflösung vermerkt. Darüber hinaus wird die Staatsgewalt diese Aufzeichnungen sicher länger aufbewahren, als wir es müssten.

Bei genauerem Hinsehen haben wir die Staatsgewalt auflaufen lassen. Wie bestellt und nicht abgeholt standen sie in ihrer Kampfmontur in und vor dem Veranstaltungsraum. Wir haben aufgezeigt, dass die Maßnahmen der Staatsgewalt gegenüber einer Aufstellungsversammlung von uns Coronianer unverhältnismäßig waren. Genauso unverhältnismäßig wie die Maßnahmen der Staatsgewalt gegenüber Corona!

Ein derartiges Ereignis könnte Frederic Rzewski vor Augen gehabt haben, als er anlässlich der 200-Jahr-Feier der USA ein Klavierstück komponiert und ihm den Namen gab:

The People United Will Never Be Defeated!

Berlin, 14.04.2021

Volker Rendez
(Veranstaltungsleiter)